Die Stufen des Trauerns
In seiner großen Liebe zu uns hat Gott die Antworten auf einige der wichtigsten Fragen der menschlichen Exi stenz offenbart: Was ist Leben? Was ist der Tod? Was geschieht nach dem Tode? Das Wissen um Gottes Plan für die ganze Menschheit und um die vor übergehende Trennung durch den Tod ist ein großer Trost für uns. Durch die von Gott verheißenen Auferstehungen werden wir mit unseren Lieben wieder vereint werden.
Richtig betrachtet, kann uns dieses Wissen helfen, mit einem durch den Tod verursachten Verlust fertig zu werden. Trotzdem können wir das Empfinden des Verlustes weder leugnen noch schmälern. Trotz unseres Wissens trauern wir. Wie können wir mit unserer Trauer fertig werden? Und wie können wir trauernde Menschen ermutigen?
Trauer ist ein sehr persönliches und traumatisches Erlebnis. Beim Umgang mit der Trauer kann es für uns hilfreich sein, den Vorgang des Trauerns zu verstehen. Zu diesem Thema haben diverse Autoren verschiedene Stadien des Trauerns identifiziert, einschließlich Ver neinung, Zorn, Verhandeln, Depres sion und Akzeptanz. (Dieses Modell stammt von Dr. Elisabeth Kübler-Ross. Ihre Bücher sind über jede größere Buchhandlung im deutschsprachigen Raum zu beziehen.)
Verschaffen wir uns nun einen kurzen Überblick über eine jede dieser Stufen, damit wir besser gerüstet sind, mit dem Tod fertig zu werden. Dabei sollten wir bedenken, dass ein trauernder Mensch diese Stufen nicht unbedingt in dieser Reihenfolge erleben wird. Es gibt keine genaue Abfolgeplan für das Erlebnis „Trauer“. Der eine mag einige, aber nicht alle dieser Stufen erleben. Ein anderer mag mehr als eine Stufe gleichzeitig erleben. Eine Stufe beim Trauern zu erleben bedeutet nicht unbedingt, dass sie dann vollständig abgeschlossen ist. Manch Trauernder kehrt zu einer anscheinend bereits abgeschlossenen Stufe zurück. Für das Trauern gibt es eben kein allumfassendes Fallbeispiel, das die Erlebnisse aller Menschen definiert.
Stufen der Trauer: Verneinung
Ein in Verneinung befindlicher Trauernder erlebt körperliche Reak tionen wie Schweißausbrüche, Schwä che anfälle, Übelkeit, einen erhöhten Pulsschlag – Reak tionen, die auch andere Opfer nach einem Schock erleben. Der Verstand und die Emo tionen werden überwältigt, und etliche können die Realität des Todes einfach nicht akzeptieren.
Manche ziehen sich von ihrem Umfeld zurück. Andere meinen, einen Albtraum zu erleben, von dem sie bald erwachen werden. Vielleicht sind solche Reaktionen Gottes Weg, uns eine Schutzzone zu ermöglichen. Gerade in dieser Zeit können wir mit dem Prozess anfangen, unsere Gefühle auf eigene Weise und im eigenen Tempo zu sortieren.
Bei dieser Stufe des Trauerns sind einige wichtige Prinzipien zu beachten. Zunächst ist es hilfreich, über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen. Durch ihren Verlust empfinden trauernde Menschen tiefen Schmerz. Sie bedür- fen eines Heilungsprozesses und der Fürsorge, und sie können ihren Freunden und Bekannten, die sie in dieser Zeit unterstützen, dadurch helfen, indem sie über ihr Erleben der Trauer sprechen. Wir können helfen, indem wir sie ermu- tigen, offen über ihre Trauer und die Umstände des Todes des geliebten Men- schen zu reden.
Wir können sie nach den Erleb nissen fragen, die sie in der Beziehung zu der verstorbenen Person genossen – was die Person als besonderen Men schen auszeichnete und warum sie die Person liebten. Um das Trauern erträglicher zu machen, sollen Trauernde sich frei fühlen, von Herzen zu sprechen und ihre Gefühle und ihre durch den Tod verursachte Einsamkeit mitzuteilen.
In solchen Zeiten ist die Hilfe von Freunden und Familie von unschätzbarem Wert: „Ein Freund liebt allezeit“ (Sprüche 17,17), und „Es gibt Freunde, die hangen fester an als ein Bruder“ (Sprüche 18,24). Der Tag kann kommen, wenn sie in der Lage sein werden, uns in der gleichen Weise zu helfen.
Ganz gleich wie tief sie ihren Schmerz empfinden, sollen wir sie wissen las- sen, dass sie nicht allein sind, dass andere Menschen ähnliche Verluste erlitten haben und bereit sind, ihre Trauer mitzutragen, wenn man sie lässt. Oft leiden die physischen Be dürf nisse der Trauernden unter ihrer Trauer. Sich für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu sorgen ist oft der letzte Gedanke, der ihnen einfällt. Dabei können wir ihnen helfen, indem wir sie an den Wert ihres Lebens erinnern.
Während des Trauerns kann sehr schnell ein physischer und emotionaler Abbau eintreten. Trauernde sollen in der Zeit ihres Trauerns auf ausgewogene Ernährung achten. Außerdem kann körperliche Bewegung zum Abbau von Stress, Frustration und Zorn beitragen. Hinzu kommt, dass durch sie der Appetit angeregt und gesunder Schlaf gefördert wird. Trauernde brauchen auch Ruhe, denn das Trauern ist erschöpfend. Nicht genügend Ruhe zu bekommen kann den Prozess des Trauerns erschweren.
Stufen der Trauer: Zorn
Wenn die Phase des Verneinens beginnt aufzuhören, neigen wir dazu, jemanden – irgendjemanden – für un seren Verlust und unseren Schmerz verantwortlich zu machen. Unser Zorn, der sich auf diese Weise ausdrücken kann, ist nicht rational. Es kann sogar vorkommen, dass wir gegenüber der verstorbenen Person Zorn empfinden, weil sie unseren Verlust ausgelöst hat. Wir mögen zornig sein wegen des Zeitpunkts des Todes. Wenn wir trauern, kann sich Zorn gegen Autoritätspersonen richten – den Arzt, das Krankenhauspersonal, andere Angehörige oder sogar gegen Gott. Wir mögen uns fragen, warum Gott nicht eingriff, um den Tod zu verhindern. Unser Zorn kann auch Schuld gefühle aufkommen lassen.
Zorn ist ein mächtiges Gefühl. Er kann negatives Verhalten auslösen oder zu unserem Vorteil genutzt werden. In Epheser 4, Vers 26 ermahnt uns Gott: „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Wir können die von unserem Zorn herbei - geführte „Energie“ in positive Bahnen lenken. Zum Beispiel können wir die Arbeiten in der Wohnung erledigen, die wir auf die lange Bank geschoben hatten. Ein neues Hobby oder Fortbildung kann uns helfen, unsere Gefühle positiv zu nutzen. Eine ausgezeichnete Möglichkeit, unseren Zorn abzubauen, besteht darin, anderen Menschen zu helfen. Anderen zu helfen erleichtert ihre Bürde und erleichtert unsere emotionale Last wäh rend unseres Trauerns.
Stufen der Trauer: Verhandeln
Die Stufe des Verhandelns bringt es oft mit sich, dass Trauernde mit Gott verhandeln wollen. Sie stellen sich vor, dass Gott alles wieder so herstellen wird, wie es früher war, wenn sie Gott gegen über Versprechen ablegen. Bei dieser Stufe des Trauerns fängt man oft an, den Tod des geliebten Menschen zu verstehen, was ein normaler Teil des Hei lungs prozesses ist. Trauernde gelangen an den Punkt, wo sie erkennen, dass es mit dem Tod kein Verhandeln gibt. Nur durch die Akzeptanz der Tatsachen kann die Wirk lichkeit des Todes in Hoffnung und positive Handlungen umgewandelt werden.
Bei ihrer Suche nach Verständnis sollten Trauernde die Informations quelle nicht vernachlässigen, die die Antworten auf die wichtigen Fragen beinhaltet, die sie stellen: Gottes Wort, die Bibel.
Wie wir in dieser Broschüre betonen, hat Gott einen Plan. Gott möchte nicht, dass wir in Trauer „ersticken“ oder ganz ohne Hoffnung sind. In diesem Sinne ermahnt uns der Apostel Petrus: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ (1. Petrus 5,7).
Stufen der Trauer: Depression
Schließlich setzt die Realität ein. Wir werden mit der Notwendigkeit konfrontiert, das Leben ohne unseren geliebten Menschen fortzusetzen. Es ist allzu einfach, uns mit Vorstellungen darüber zu plagen, was hätte sein sollen oder können.
Für viele kann die durch einen Todes fall ausgelöste Depression die schwierigste Phase des Trauerns sein. Zu den Symptomen der Depression gehören Melancholie, Gleichgültigkeit gegenüber dem persönlichen Umfeld und Desinteresse an Essen und Schlafen. Gefühle der Schuld, Hilf losigkeit, Hoffnungslosigkeit und Wert losigkeit kommen häufig vor.
Während dieser Stufe des Trauerns sollen wir an die positiven Aspekte des Lebens denken, das wir mit unserem Verstorbenen teilen durften. Erin ne run gen dieser Art sind Gold wert. Niemand kann uns die Erinnerungen an frühere Erlebnisse mit dem Verstorbenen nehmen. Diese Erinnerungen können ein Schatz sein, der Teil des Erbes ist, das der Verstorbene uns hinterlässt.
In unserer Trauer brauchen wir niemals allein zu sein. Gott ist mit uns, auch dann, wenn wir trauern: „Denn der Herr hat gesagt: Ich will dich nicht verlassen und nicht von dir weichen. So können auch wir getrost sagen: Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten“ (Hebräer 13,5-6).
Zu diesen Zeiten dürfen wir nicht vergessen, unsere Beziehung mit Gott zu pflegen. Er kann uns helfen, mit Trauer fertig zu werden. Wir können ihn um Kraft und Mut bitten: „Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben“ (Hebräer 4,16). Er ist „der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal“ (2. Korinther 1,3-4).
Stufen der Trauer: Akzeptanz
Schließlich gelangen wir an den Punkt, wo wir verstehen und akzeptieren, dass ein neues Kapitel in unserem Leben beginnt. Wir gewöhnen uns an eine neue Routine. Neue Realitäten erfordern eine Anpassung, denn sie stellen eine neue Lebenssituation dar. Durch die Erfahrung des Todes und des Trauerns sind wir stärker und reifer geworden, weil wir mit dieser schwierigen Situation konfrontiert wurden und damit fertig geworden sind. Der Heilung einer physischen Wunde ähnlich, kehrt unser emotionales Gleich gewicht nach und nach zurück.
Die Zeit, die für den Heilungsprozess notwendig ist, kann für jeden Menschen anders sein. Einige werden Gefühle wie Schuld, Depression oder Zorn lange Zeit nach dem Tod empfinden. An sich ist dies nicht unbedingt negativ. Es bedeutet nur, dass die geliebte Person das Leben der Trauernden stark beeinflusste und immer noch vermisst wird. Solche Gefühle sind zu erwarten – sie sind normal.
Keiner kann einen lieben Men schen voll ersetzen. Aber der Zeitpunkt wird kommen, wenn wir bereit sind, voranzuschreiten und neuen Heraus forderungen zu begegnen.
Mose war sehr beliebt im alten Israel, aber die Zeit kam, als Gott ihn sterben ließ. Die Israeliten mussten voranschreiten, obwohl sie um ihren verstorbenen Führer trauerten: „Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener: Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe“ (Josua 1,1-2). Das Leben ging weiter für Israel, auch ohne einen seiner größten Führer: „Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt“ (Josua 1,5-6).
Gottes Versprechen ist heute das Gleiche. Wir brauchen nur auf ihn im Glauben zu schauen. Wenn wir uns ihm nähern, wird er bei uns sein, genauso wie er Mose und Josua nahe war. Er wird uns nicht verlassen. Er ist bereit, uns zu helfen, während wir einen neuen Lebensabschnitt be ginnen. Gott wird uns die gleiche Kraft und Unterstützung ge währen, die er seinen treuen Dienern Mose und Josua schenkte.
Es war Mose, der auf einen zukünftigen Propheten hinwies, auf den wir hö- ren sollen (5. Mose 18,15). Nach seinen eigenen Worten war Jesus Christus dieser Prophet (Johannes 5,46). Seine Apostel haben ihn uns verkündigt (Johannes 1,45). Wir sollen glauben, dass Jesus genau das ist, was er selbst sagte: das Leben (Johannes 14,1. 6).
Auch dies wird vergehen
Zeit ist ein großer Heiler. Dies trifft besonders beim Verlust eines geliebten Menschen zu. In einer Rede 1859 vor der Agrar-Gesellschaft des US-Bundesstaates Wisconsin sagte der spätere US-Präsident Abra ham Lincoln: „Es wird gesagt, dass ein östlicher Monarch seine Weisen einst beauftragte, ihm einen Satz vorzulegen, der zu allen Zeiten und in allen Situationen ihm immer vor Augen sein sollte. Sie legten ihm den Satz vor: ,Auch dies wird vergehen.‘ Wie ausdrucksvoll dieser Satz ist! Wie zurechtweisend in der Stunde des Stolzes! Wie tröstlich in den Tiefen der Anfechtung!“
Wenn das Leben nach dem Tode einer lieben Person noch so freudlos aus - sehen mag, müssen wir uns daran erinnern, dass auch dies vergehen wird. Die Freude am Leben wird zurückkehren. Mit der Hilfe Gottes, dem Verständnis seines großen Vorhabens für das menschliche Leben und der Hoffnung auf die von ihm verheißene Zukunft können wir die Kraft finden, um die Trauer hinter uns zu lassen.
Einst schrieb König Salomo: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde . . . sterben hat seine Zeit . . . heilen hat seine Zeit . . . weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit“ (Prediger 3,1-4). Emotionale Heilung wird stattfinden. Es wird wieder eine Zeit zum Singen, zum Lachen und zum Tanzen geben.