Wurde das gesamte Volk des nördlichen Königreichs deportiert?
Viele Gelehrte haben die Feststellung der Bibel abgelehnt, daß die ganze Bevölkerung des nördlichen Königreichs in assyrische Gefangenschaft ging. Manche denken, daß die meisten Israeliten südwärts flüchteten und in der Bevölkerung des Königreichs Juda aufgingen. Was geschah wirklich? Lassen Sie uns die Aufzeichnungen prüfen.
Die Kette von Ereignissen, die zu Israels Fall und umfassender Deportation führte, begann mit drei Feldzügen des assyrischen Monarchen Tiglath-Pileser III. Historiker bezeichnen diese Zeit als die galiläische Gefangenschaft (etwa 734-732 v. Chr.). Tiglath-Pileser eroberte Damaskus und führte die militärische Sicherung an der Grenze zu Ägypten ein. Er deportierte in das obere Flußtal Mesopotamiens große Teile der Rubeniter, der Gaditer und der transjordanischen Bevölkerung der Stämme Manasse (1. Chronik 5,26) und Naphtali zusammen mit der Bevölkerung aus Städten, die in den Gebieten von Issachar, Sebulon und Asser gelegen waren (2. Könige 15,29).
Der assyrische König Salmanasser V. initiierte und realisierte den alles entscheidenden Angriff in den Jahren 724-722 v. Chr., in dessen Folge er den Rest des nördlichen Königreichs deportierte. Salmanasser wurde jedoch, „danach von einem anderen König, Sargon II., entthront. Sein Name, ,wahrer König‘, scheint die verdächtige Natur von Sargons Anspruch auf den Thron preiszugeben ... Sargon II. verlegte die assyrische Hauptstadt nach Chorsabad, die von ihm gegründet wurde, und mit der er Nimrod nacheiferte, während die ältere Stadt vernachlässigt wurde ... Salmanasser V. ... hatte keine Zeit, seine Erfolge zum Andenken in Stein meißeln zu lassen. So erhob sein Nachfolger Sargon II. Anspruch auf den Sieg“ (Julian Reade, Assyrian Sculpture, Seiten 48 und 65).
Einen Meilenstein der Entdeckungen des 19. Jahrhunderts setzte der britische Archäologe Austen Henry Layard, welcher keinen Zweifel daran läßt, daß das assyrische Königreich ein ungeheures Gewaltsystem war, das vom 9. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. die Menschen des Altertums im gesamten Nahen und Mittleren Osten gnadenlos beherrschte. Es ist völlig unstrittig, daß die Assyrer das Nordreich als Teil dieser Vorherrschaft angriffen, eroberten und die Bevölkerung deportierten.
Die weltliche Geschichtsschreibung bietet derzeit keine verläßlichen Zahlen. Einige Gelehrte behaupten jedoch, daß nur die Führungsschicht des Nordreiches von den Assyrern gefangengenommen wurde. Der Rest, so sagen sie, wurde zu Flüchtlingen oder ging in der in das nördliche Königreich neu angesiedelten fremden Bevölkerung vollständig auf (2. Könige 17,24).
Andere glauben, daß die Versklavung und die Deportation der Israeliten fast die ganze nördliche Bevölkerung betrafen. Wie sollen wir wissen, wer recht hat? Wie viele Israeliten deportierten die Assyrer?
Archäologen haben eine Serie von Aufzeichnungen des assyrischen Hofes gefunden, die einige konkrete Angaben liefern. König Sargon II. behauptet, 27 290 Gefangene aus Samaria deportiert zu haben. Diese Zahlenangabe ist im Vergleich zur ganzen Bevölkerung des nördlichen Königreichs sehr klein. Aber es gibt einen logischen Grund für eine derart geringe Zahl.
Der konservative Bibelgelehrte Eugene Merrill bemerkt, daß Salmanasser V. „Samaria in seinem letzten Jahr einnahm ... [damit] war Sargon wahrscheinlich nicht der Sohn von Tiglath-Pileser, wie einige behaupten, aber er war ein Thronräuber, der über das gewaltige assyrische Imperium von 722 bis 705 v. Chr. herrschte.
Einer der militantesten Herrscher Assyriens – Sargon – behauptet, in jedem seiner siebzehn Regierungsjahre herausragende Kriege geführt zu haben. In den Annalen seines ersten Herrschaftsjahres hält er sich den Fall Samarias zugute. Doch Tatsache ist die biblische Behauptung, daß Salmanasser V. dafür verantwortlich war. Mehrere Gelehrte haben nämlich gezeigt, daß Sargon die Einnahme Samarias seiner eigenen Herrschaft zuschrieb, damit die Aufzeichnungen seines ersten Jahres nicht ohne eine Erfolgsmeldung blieben“ (Kingdom of Priests, 1996, Seite 408).
Mit anderen Worten, Sargon nutzte die Tatsache aus, daß Salmanasser V. abgesetzt wurde, bevor seine militärischen Heldentaten vollständig aufgezeichnet waren. Obwohl Sargon die Ergebnisse seiner eigenen Invasion und Deportation von Israels nördlichem Königreich während seines ersten Jahres genau aufgenommen haben mag, ließ er die viel größere israelitische Deportationswelle von seinem Vorgänger nicht erfassen, um den Eindruck zu hinterlassen, daß seine eigenen Meisterleistungen viel größer als in Wahrheit waren.
Eugene Merrills logische Erklärung bezüglich der äußerst geringen Zahl der durch Sargon Deportierten ist von großer Bedeutung aufgrund des Einklangs, den sie zwischen den Aufzeichnungen der assyrischen Geschichte und der biblischen Darstellung herstellt. Bei den relativ wenigen von Sargon erwähnten Deportierten werden die schon von seinen Vorgängern Tiglath-Pileser III. und Salmanasser V. durchgeführten massiven Deportationen nicht berücksichtigt.
Für denjenigen, der von der Genauigkeit der Heiligen Schrift überzeugt ist, liefert die biblische Aufzeichnung die zuverlässigste geschichtliche Darstellung. In bezug auf die Deportation des nördlichen Königreichs ist der Bericht in 2. Könige wahrscheinlich die wesentlichste biblische Aussage: „Da wurde der HERR sehr zornig über Israel und tat es von seinem Angesicht weg, so daß nichts übrigblieb, als der Stamm Juda allein ... Darum verwarf der HERR das ganze Geschlecht Israel und bedrängte sie und gab sie in die Hände der Räuber, bis er sie von seinem Angesicht wegstieß ...
So wandelte Israel in allen Sünden Jerobeams, die er getan hatte, und sie ließen nicht davon ab, bis der HERR Israel von seinem Angesicht wegtat, wie er geredet hatte durch alle seine Knechte, die Propheten. So wurde Israel aus seinem Lande weggeführt nach Assyrien bis auf diesen Tag“ (2. Könige 17,18-23).
Obwohl die Bibel hier klar ausdrückt, daß die Assyrer die Bevölkerung des nördlichen Königreichs als Gefangene deportierten, zeigen andere biblische Abschnitte und indirekte archäologische Beweise, daß einige Flüchtlinge von den Nordstämmen nach Israels Fall unter den Juden lebten.
Wahrscheinlich emigrierten einige aus den nördlichen Gebieten nach der Trennung Israels von Juda südwärts im Protest gegen die verachtenswerten religiösen Praktiken Jerobeams I. (1. Könige 12,25-33; 13,33; 2. Chronik 11,13-16), die von seinen Nachfolgern, insbesondere wären hier Ahab und Isebel zu nennen (1. Könige 16,29-33; 18,3-4. 18), fortgesetzt wurden. Diese erste Welle von Immigranten in Juda bestand aus Männern und Frauen, die ein weniger verunreinigtes religiöses Umfeld suchten, in dem sie Gott verehren konnten.
Aber gerade vor dem Exil des nördlichen Königreichs strebte eine viel größere Anzahl von Bewohnern des Nordens wahrscheinlich südwärts nach Juda, um den heftigen assyrischen Angriffen vom 8. Jahrhundert v. Chr. zu entkommen. Niemand bestreitet heute, daß die Bevölkerung von Jerusalem während dieser Zeit gewaltig zunahm.
Der israelische Archäologe Magen Broshi schätzt, daß die Bevölkerung von Jerusalem am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. von etwa 7500 auf 24 000 anwuchs. Diese Zunahme ist wohl nicht allein einer ausgedehnten Geburtenrate zuzuschreiben. Einige gottesfürchtige Bürger des Nordreichs mögen auf Hiskias religiöse Reform reagiert haben (2. Chronik 30,1-18; 31,1), aber am wahrscheinlichsten war es einfach eine Reaktion der Furcht vor der bevorstehenden assyrischen Invasion.
Zeigen diese Ereignisse, daß Gott einfach eine größere Anzahl von Angehörigen der nördlichen Stämme in Juda integrierte und daß die Juden, die später aus der babylonischen Gefangenschaft unter Esra und Nehemia in ihr Heimatland Juda zurückkehrten, all diejenigen umfaßte, die Gott zu erhalten gedachte? Einige Gelehrte befürworten diese Theorie, aber sie übersehen eine Tatsache.
Die Babylonier verbannten die Einwohner des Königreichs Juda im Jahre 587 v. Chr. Dieses Exil schloß jene ein, die in Juda vom früheren nördlichen Königreich eingewandert waren. 70 Jahre später kehrte nur ein kleiner Teil von denen zurück, die nach Babylon verbannt worden waren, um den Tempel und die Stadt Jerusalem wieder aufzubauen. Die Heilige Schrift zeigt, daß diejenigen, die freiwillig zurückkehrten, um Palästina wieder aufzubauen und eine jüdische Prä- senz herzustellen, fast ausschließlich von den Stämmen Juda, Benjamin und Levi kamen (Nehemia 11,3-36). Wir finden keine Hinweise in der Bibel oder andere historische Beweise, daß von den anderen zehn Stämmen wesentliche Teile bei der Rückkehr Judas in ihr Vaterland mit einbezogen waren.
Deshalb können die Prophezeiungen, die sich auf eine zukünftige Wiederherstellung der verlorenen zehn Stämme beziehen, nicht mit der Zeit als erfüllt betrachtet werden, in der unter Esra und Nehemia nur ein Teil der Juden nach Jerusalem zurückkehrte. Alle anderen Juden und die zehn Stämme Israels wurden unter die Nationen verstreut. Doch die Prophezeiung sagt uns, daß Christus bei seiner Wiederkunft die Juden und die verlorenen zehn Stämme sammeln und vereinigen wird.